Die Metamorphose eines Durchgängers
von Erna Lutz
„Den verkauf ich Dir nicht, den kennt ja jeder als Durchgänger, da hau ich mir das Geschäft zusammen“ so die Worte des Stallbetreibers nach meiner Bitte an ihn Odur zu verkaufen, als ich einsehen musste, dass mein neues Wunderpferd nicht zu mir passt.
In grenzenloser, verblödeter Selbstüberschätzung hatte ich mich in ein wunderhübsches 10jähriges Pferdchen verguckt, das auf Turnieren glänzte und ebenso mit seinem Äußern.
Beim Probereiten hätte ich schon stutzig werden sollen, ein anwesender Trainer meinte kryptisch „der kann´s aber schon!“ und Odur zeigte mir das auch gleich auf der Töltbahn. Aber Zweifel an meiner fixen Idee genau ihn und keinen anderen zu reiten ließ ich aus unerfindlichen Gründen damals nicht aufkommen, nach 30 Jahren Reiterfahrung auf großen und kleinen, fremden und eigenen Pferden, in Island, zuhause und so sonst wo auf der Welt wird wohl so ein Pony zu meistern sein, so meine Gedanken. Außerdem bestärkte mich meine Tochter in meiner Kaufabsicht, flüsterte mir, sie würde gerne Odur als ihr zweites Turnierpferd einsetzen.
Das machte sie eine zeitlang unterstützt von Trainingskursen tatsächlich, bis sie das Handtuch schmiss mit der Begründung, Odur sei echt anstrengend. Der damalige Trainer half mir auch nicht, meine Tochter umzustimmen, er legte sogar noch ein Schäufelchen nach mit der Bemerkung Odi gefalle ihm gar nicht, er sei unendlich verspannt.
Von da an wollte auch niemand mehr mit Odur ausreiten, denn das endete jedes Mal in einem Höllenritt, jeder staunte, wie schnell der kleine Dicke rennen konnte. Nicht einmal die Zügel hielten seinem Geh- äääh- Rennwillen stand.
Na gut, nächster Ansatz: da muss ich eben mit ihm von vorne anfangen, Reitstunden, davon die meiste Zeit Longestunden, Vertrauensbildung, longieren, Bodenarbeit, ewig lange, bis mir der Geduldsfaden riss als er wieder einmal auf dem Viereck wahnsinnig wurde und durchging, beschloss ich, Odi nie wieder zu reiten, denn meine Gesundheit war mir wichtiger.
Aber was nun?
Die Lösung kam in Form von Astrid, einer Stallkollegin, die immer mal auch Mitreiterin auf irgendeinem Pferd von mir war. Odur gefalle ihr gut, sie würde gerne mit ihm arbeiten. Ok, dann mach´s, nur zu, dachte ich mir.
Ich begann Astrid zu bewundern. Sie hatte eine endlose Geduld. Schon das tägliche Einfangen ihres Schützlings gestaltete sich äußerst schwierig und zeitraubend. Den ersten Winter verbrachte sie nur mit Putzen und Spazierengehen und natürlich Einfangen. Erst im Frühjahr versuchte sie es mit Satteln. Schon alleine der Kontakt mit dem Sattel erzeugte eine sichtbare Anspannung bei Odi, also nahm sich Astrid Zeit für eine Phase der Desensibilisierung mit Sattelauflegen, Sattelabnehmen, Sattelauflegen…
Als das endlich gut ging, folgte die nächste Stufe: Sattelberühren. Wieder verspannte sich das ganze Pferd. Auch das wurde geübt.
Beim ersten Aufsitzen an der Longe war sie nicht sicher ob sie atmen dürfe. Das ging irgendwann, aber Nase putzen, Zipp zumachen - undenkbar, eine Fliege wegscheuchen - ein Selbstmordkommando!
Astrid ließ trotzdem nicht locker, riskierte aber auch nichts. Es gelang ihr tatsächlich, Odi behutsam wieder ans Reiten heranzuführen. Immer wieder zeigte er seinen „Davonrenn-Willen“, aber sie begegnete dem mit einem sehr passiven Sitz und gab Acht, dass Odi das Gefühl hatte, schon genug getan zu haben.
Mittlerweile sind die Jahre ins Land gezogen. Odur lebt nun schon 12 Jahre bei mir am Hof, er wurde heuer 23. Nach wie vor reitet ihn ausschließlich Astrid und jetzt erst, dieses Jahr, begann sie von Odi regelrecht zu schwärmen, er würde endlich vollkommen entspannt galoppieren können, auf der Bahn, im Viereck, im Gelände, schnell oder langsam, wie man es eben gerne hätte. Es ist eine Freude, den beiden zuzuschauen.
Die Essenz der Geschichte ist, dass es mit Pferden immer vorwärts geht, wenn man mit Geduld, Verständnis, beiderseitiger Sympathie, auch Mut, an die Sache herangeht und dranbleibt. Die Unterstützung von außen darf nicht vergessen werden, in unserem Fall waren es der Unterricht bei Vicky Weber und in letzter Zeit die Equikinetik von Michael Geitner.